Blogserie: Karriere auf den Kopf gestellt Teil 3
Das Arbeitszeugnis dient heute als bewährtes Bewertungsinstrument von Arbeitgebern im deutschsprachigen Raum. Es soll Aufschluss über die Leistung und Motivation von Arbeitnehmenden geben. Der Arbeitgeber bewertet, wie zufriedenstellend Aufgaben erledigt wurden und welche Verhaltensweisen Arbeitnehmende an den Tag legen. Dafür werden leichte Abstufungen in der Formulierung verwendet, die auf Indikatoren für bessere oder schlechtere Leistungen hinweisen. Es ist üblich, dass Arbeitgeber die Leistung der Mitarbeitenden regelmässig bewerten und administrieren. Der Arbeitgeber bewertet die Leistung der Mitarbeitenden formal in den meisten Fällen in Mitarbeitergesprächen und mit Hilfe von Prozessen und HR Systemen, um diese dann in Form eines (Zwischen)Zeugnisses festzuhalten und Arbeitnehmenden zu einem Zeitpunkt auszuhändigen.
Heute haben auch Arbeitnehmende die Möglichkeit den Arbeitgeber regelmässig auf verschiedenen Plattformen wie zum Beispiel kununu oder glassdoor zu bewerten. Dabei geben sie anonymes Feedback z.B. zum Arbeitsklima, Gehalt, Zusammenarbeit, Vorgesetzter, oder andere Arbeitsbedingungen. Arbeitnehmer können diese Einschätzungen einsehen und ggf. darauf reagieren wie z.B. sich rechtfertigen oder dieses Feedback ernst nehmen. Ausserdem geben sich Arbeitnehmende auch zunehmend gegenseitig Feedback indem sie sich über Plattformen wir LinkedIn Kudos für erledigte Aufgaben geben oder sich gegenseitig zu absolvierten Zertifikaten oder moderierten Workshops gratulieren. Peer-Feedback und Bewertungen sind vor allem in Teams gängig, die eng zusammenarbeiten und wo Leistung vor allem auf der Teamebene statt individueller Ebene definiert wird.
Die Transparenz von Bewertungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmenden bietet einen Einblick wie nie zuvor. Doch diese Formalien geben ein oberflächliches Bild ab von unserem eigentlichen Wirken und dem Fortschritt, den wir machen oder eben auch nicht. Was diese Instrumente über unsere tatsächliche Leistung aussagen, bleibt offen.
Strengen wir uns in unserem Arbeitsumfeld wirklich an? Oder eben nur gerade genug?
Für das Messen von Leistung machen Arbeitgeber häufig Gebrauch von Zielvereinbarungen. Herausforderungen des Unternehmens werden dafür runtergebrochen und in Projekte für Arbeitnehmende eingeteilt. Ziele für Mitarbeitenden oder auch für Teams werden von der Unternehmensstrategie und den Unternehmenszielen abgeleitet und mit klaren Messkriterien aufgestellt. Wir versuchen alles messbar zu machen und lassen immer wieder neue KPIs entstehen.
Woher wissen wir, ob wir das Richtige messen? Was bedeutet es eigentlich Fortschritte zu machen und wie können wir das am besten abbilden?
Denn der dynamische Arbeitsalltag stellt uns vor Herausforderungen: Jeden Tag kommen neue Dinge dazu…neue Themen, Fragestellungen, Situationen, welche unseren Arbeitsalltag komplexer machen. Denn der Umgang mit immer wieder neuen Informationen ist für alle Abteilungen herausfordernd. Es geht mehr denn je darum die richtigen Fragen zu stellen, sinnvolle Synthesen zum richtigen Zeitpunkt zu erstellen und nachvollziehbare Entscheidungen daraus abzuleiten. Das ist zeitintensiv und macht es schwierig schnelle und gleichzeitig verlässliche Entscheidungen zu treffen. Möglicherweise können wir Vorhaben nicht mehr wie geplant umzusetzen. Arbeitnehmende bringen sich in mehreren Abteilungen gleichzeitig ein und erbringen somit „abteilungsübergreifende Leistungen.“ Sie „switchen“ häufiger zwischen Aktivitäten aus einem Bereich und eines anderen und bauen ein neues, übergreifendes Tätigkeitsprofil auf. Wie bewerten wir zukünftig solche „diverse engagements“ und wie werden diese überhaupt sichtbar? Es verändern sich nicht nur festgesetzte Ziele von Mitarbeitenden in einer dynamischen Umgebung über die Zeit. Sie sind nach ein paar Monaten ggf. gar nicht mehr relevant. Ebenso verändern sich ganze Unternehmensziele und Teamziele kontinuierlich weiter. Wie können wir trotz dieser Veränderung wachsen – als Individuum, Team und als Unternehmen?
Potenzial neu interpretiert
Für die Einordnung des Potenzials von Arbeitnehmenden nutzen Arbeitgeber oft vorgefertigte Clustern oder Frameworks, welche einfache Standardisierungen ermöglichen. Dieses gezielte, standardisierte Einordnen gibt Sicherheit und einfache Vergleichsmöglichkeiten. Früher war bei der Potenzialeinordnung der Fokus oft darauf ausgerichtet einen sogenannten GAP ausfindig zu machen, d.h. eine Lücke zwischen Ist und Soll. Dabei wird diese Wissenslücke (z.B. von Junior nach Senior) als noch nicht ausgeschöpftes Potenzial betrachtet. Das gibt dem Begriff Potenzial einen negativen Beigeschmack: Etwas fehlt. Etwas ist noch nicht genug.
Potenzialerreichung wurde als eine Wissenslücke gesehen, die motiviert wird von Zustand a nach b zukommen. Als ob es einen Endzustand des persönlichen Wachstums gibt.
Aus der Forschung wissen wir, dass sich Menschen mit einem „growth mindset“ kontinuierlich verbessern wollen. Sie umgeben sich mit den fähigsten Menschen, die sie finden können. Das Vorankommen und der Glaube an sich basiert auf Fakten und nicht auf Fantasien. Ein unbändiger Drive vorwärtszukommen und eine nicht enden wollende Neugier treibt sie an (Carol Dweck). Über die Zeit werden Kompetenzprofile stetig erweitert, aufgefrischt und vertieft. Die Neugier leitet das tiefe, bewusste Lernen an, um neue Challenges dosiert anzugehen, den eigenen Anspruch zu reifen und in der eigenen Kompetenz zu wachsen. Dabei entwickeln wir uns als Menschen, sowie auch das Umfeld. So können sich beispielsweise Umstrukturierungen oder neue Systeme auf das Umfeld auswirken. Unternehmensentwicklungen (z.B. durch Mergers, neue Abteilungen, neue Produkte) beeinflussen den Arbeitsalltag der Arbeitnehmenden und mit welchen Veränderungen diese in Zukunft umgehen. Diese bestimmten, was Arbeitnehmende im Arbeitsalltag «dürfen». Die Komplexität dieser Entwicklungen aus mehreren Ebenen wird weniger auf Zeugnissen oder mit Noten abgebildet oder in Zielvereinbarungen festgehalten. Sie drücken sich durch Ideen, Problemlösungskompetenz und voranbringen von Themen aus.
Organisationen sind der Kontext, in dem wir Ideen entwickeln und Probleme lösen und gemeinsam wachsen
Wissen und Fähigkeiten allein reichen nicht mehr; stattdessen werden eigene Ideen wichtiger.
Leitfragen:
Was machen wir mit unserem Wissen?
Wie bringen wir unsere Erfahrungen ein?
Was können wir in Situationen bewirken?
Was lassen wir entstehen, was es vorher noch nicht gab?
Einen Beitrag leisten heisst unser Potenzial zu erkennen und dieses zu nutzen, um eigene Ideen zu generieren, zu teilen und diese zu implementieren. So geht es bei der Frage des «Könnens» zukünftig um mehr als Wissen. Durch das neue selbstbestimmte arbeiten – vielleicht auch von zu Hause – wird die Ausübung der Aufgaben nicht mehr so intensiv beobachtet/begleitet. Viele Teams arbeiten heute autonom. Arbeitnehmende können zum Beispiel selbst entscheiden in welcher Zeitspanne sie eine Aufgabe erarbeiten oder auch welche Aufgabe sie zu welchem Zeitpunkt bearbeiten. Sich selbstkritisch an neue Einflussfaktoren anzupassen und im dynamischen Umfeld neue Ideen zu entwickeln wird wichtiger, um das eigene Potenzial zu entfalten.
Das eigene Potenzial auszuschöpfen ist ein kontinuierlicher Entwicklungsweg. Aber wie erkennen wir selbst, dass wir Fortschritte machen?
Es geht schlussendlich um das, wozu wir als Individuen zukünftig fähig sein können, wenn man regelmässig an sich arbeitet und sich die eigenen Grenzen versteht/herausfordert. Es gibt immer ein nächstes Level, auf das man hinarbeiten kann.
Welche neuen Fragen stellen sich über die Zeit?
Was kann dadurch möglich werden?
Wie stellst du dir zukünftige Situationen vor?
Welche Herausforderungen kannst du in 3 Jahren meistern?
Das bedeutet neuen, komplexeren Situationen zu begegnen, die ein gesundes, forderndes Weiterkommen in Kompetenzbereichen ermöglichen. In der Theorie werden nicht mehr als 5 % fordernde Aufgaben als zuvor empfohlen, d.h. das nächste Level sollte individuell abgesteckt und nicht zu viel / nicht zu wenig herausfordernd sein. Im Arbeitsalltag gibt es eine Reihe von Biases, die Bewertungen beeinflussen. Das Verhältnis zu Vorgesetzten oder Peers, die Fähigkeiten / Aufrichtigkeit von Vorgesetzen oder Peers zur Beurteilung spielen dabei eine zentrale Rolle. Sind diese Menschen Agenda-frei? So macht es für echtes Feedback Sinn ehrliche, casual Bemerkungen, Wahrnehmungen zu interpretieren und eigene Reflexionen zu machen, statt zu viel auf Formalien und Prozesse zu vertrauen.
Ein eigener regelmäßiger Situationscheck und der Einflussfaktoren im Arbeitsumfeld wird wichtiger
Umso wichtiger ist eine Reflexion, die den Blick in die Zukunft richtet, so dass wir immer wieder selbst erkennen, welche Fähigkeiten und Verhaltensweisen sich entwickeln und welche Wirkungsweisen und Herausforderungen über die Zeit möglich werden können. Fragen wie: In welchem Umfeld oder unter diesen Bedingungen tendiere ich dazu… mich xy zu verhalten? Warum? Welche Wirkung kann ich mit meinen Kompetenzen in anderen Bereichen erzielen? Wir gewinnen neue Erkenntnisse über die Zeit und entwickeln immer wieder neue Ideen. Wir können erkennen und spüren, was uns schwerer fällt und sogar stresst oder was wir mühelos erarbeitet haben. Auf dem Weg der Reflexion lernen wir uns besser kennen als jeder andere und sehen, welche Ideen wir verwirklichen.
Über die Zeit können wir vielleicht Verbindungen zwischen unseren Erfahrungen ziehen. Unsere Neugier kann uns zukünftig weiter in neue Kontexte bringen, die wir heute noch gar nicht sehen. Durch dieses Zusammensetzen der Vergangenheit, Realität und Zukunft wird klarer, dass jede Entwicklung anders aussieht und andere Ideen hervorbringen wird.
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